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16.06.2022

Von Ita zu Zita

Als habsburgische Gründung pflegt das Kloster Muri seit bald 1000 Jahren Beziehungen zum Stifterhaus. Heute gilt Muri als früheste Grablege der Habsburger und wird als solche gepflegt – und manchmal auch verklärt. Hinter dem Verhältnis von Stifter und Kloster allerdings standen auf beiden Seiten oft handfeste Interessen. Für die Geschichtsschreibung rückte man diese zuweilen etwas zurecht.

Ita von Lothringen und Radbot von Habsburg gründeten mutmasslich um 1027 das Kloster Muri. Die Erinnerung an diese Stiftung war in der Geschichte fortan immer wieder prägend. Sie wurde politisch und historisch instrumentalisiert, wie die Untersuchung «Zeiten der Erinnerung» von Bettina Schöller zeigt. Die Klostergründung diente der Konsolidierung der Herrschaft im Gebiet und war mit seiner Grablege als Memorialort angelegt. Dort sollten die Stifter und weitere Nachkommen begraben werden. Die Initiative für die Reaktivierung der Beziehungen zu den Gründern ging meist von den Mönchen aus, die in Krisenzeiten oder zur weiteren Machtentfaltung um Unterstützung baten. Doch auch das Interesse Habsburgs an Muri erlosch trotz der Distanz zu Wien nie ganz, waren die «frühsten Quellen Muris» doch auch «die frühesten Quellen der Habsburger», wie Schöller schreibt.

Der geschenkte Gaul?

Bis 1266 sind noch Besuche von Habsburgern – so vom späteren König Rudolf I. persönlich – in Muri belegt, danach verloren die aargauischen Stammlande aufgrund der europäischen Orientierung des Herrschergeschlechts an Bedeutung. Wie hielten es die Habsburger im Spätmittelalter, als sie die Stammlande verlassen hatten, mit Muri? Die Quellen sind dürftig und bergen einige Fragezeichen. Peter Niederhäuser hat für die «Neue Klostergeschichte Muri» nach Belegen dieser Beziehung gesucht und gängige Interpretationen hinterfragt. Das Kloster Muri wurde im Sempacherkrieg 1386 zerstört und erhielt in den folgenden Jahren von den Habsburgern Unterstützung beim Wiederaufbau. Dies galt bisher als grosszügige Förderung durch die Stifter. Niederhäuser sieht um 1400 zwar eine Annäherung zwischen Kloster und Habsburgern. Letztere aber schenkten nicht aus Grosszügigkeit. Sie tauschten gegen anderen Besitz und Rechte, wie Niederhäuser feststellte. Zudem liessen sich die Besitzrechte bei den von Habsburg vermachten Kirchen Sursee, Lunkhofen und Villmergen nur schwer durchsetzen. «War es denkbar, dass die Habsburger weniger Rechte denn Ansprüche an Muri abtraten?», lautet eine der Fragen, die Niederhäuser in seinem Beitrag stellt.

Erneut unter der Herrschaft Habsburgs

Einen weiteren Höhepunkt in der Beziehungspflege zeigte sich im 18. Jahrhundert: Kaiser Leopold ernannte das Kloster Muri 1701 zur Fürstabtei. Aber auch im barocken Ausbau der Klosterkirche Muri und in der zeitgleich betriebenen Geschichtsschreibung wurde für Habsburg nachgedoppelt: Die Stifterfiguren Ita und Radbot erhielten einen prunkvollen Kenotaph in der Kirche. Zudem wehrte sich Muri gegen Angriffe des Historiografen und Mönchs aus St. Blasien, Marquart Herrgott, der die Glaubwürdigkeit der Überlieferungen aus Muri für die Genealogie der Habsburger anzweifelte.

Einen weiteren Aufschwung in der Erinnerung an die Habsburger und in der Beziehung zu Österreich bewirkte die Klosteraufhebung Muris 1841. Der Kaiser von Österreich offerierte den exilierten Mönchen eine neue Bleibe im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift Gries bei Bozen. Abt und Konvent nahmen an und haben dort noch heute ihren Hauptsitz. Solange Südtirol unter österreichischer Herrschaft war, gab es Kontakte mit Habsburg. Diese wurden aber bisher wenig untersucht. Habsburg scheute sich dabei nicht, bei den Mönchen auch Unangenehmes durchzusetzen: Als Abt Ambros Steinegger 1904 mittelalterliche Kulturgüter verkaufen wollte, schritt Erzherzog und Thronfolger Franz Ferdinand ein und drohte mit einem Entzug von Privilegien, die das Kloster in Österreich genoss. Es blieb dem Abt nichts anders übrig, als von einem Verkauf abzusehen. Auch Besuche von Mitgliedern der Herrscherfamilie sind dokumentiert: «Heute wohnte Erzherzogin Maria Josepha, Mutter des Thronfolgers Karl Franz, in meiner Abteikapelle einer Messe bei», schrieb Abt Alfons Augner im März 1916 in sein Tagebuch.

Tyrannenimage gilt nicht mehr

Die Mönche und die Grablege Muris haben zwar eine räumliche Trennung erfahren, doch werden Erinnerungen und Beziehungen auch in der Gegenwart gepflegt: Im Konvent von Muri-Gries werden noch immer jährlich Gebetsgedenken an die Stifterfamilie abgehalten. Für die habsburgische Grablege in Muri ist dafür seit 1941 die Katholische Kirchgemeinde Muri als Gebäudeeignerin zuständig. Sie war es auch, die 1970 die neue Grablege initiierte, wo heute die Herzen des letzten Kaiserpaares, Karl und Zita, ruhen und weitere Verstorbene der Familie ihre letzte Ruhe fanden und noch finden werden. Jährliche Gebetsmessen im Beisein von Habsburgern halten die Erinnerung in Muri lebendig.

Und heute? Der Aargau hat sein Geschichtsbild revidiert. Sowohl die Habsburger als auch die Klöster haben ihr Tyrannenimage verloren. Heute werden habsburgische Memorialorte wie Königsfelden, Wettingen und eben Muri als Kulturorte gepflegt, und ihre Geschichte wird auch touristisch verwertet.