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20.05.2024

Altäre, die Rätsel aufgeben

Selbst versierten Fachleuten sind die zwei spätgotischen Flügelaltäre im Benediktinerkollegium Sarnen nicht bekannt. Die Kunsthistorikerin Charlotte Gutscher-Schmid hat sie nun genau unter die Lupe genommen. Im Juni erscheint ihr «Murensia»-Heft zu diesem Juwel.

 

«Es war für mich immer ganz besonders, zu wissen, dass es in Sarnen hochwertige Gemälde aus dem 15. Jahrhundert gibt, zu denen kaum je jemand gearbeitet hat», sagt Charlotte Gutscher-Schmid über die zwei Flügelaltäre, die heute im Benediktinerkollegium stehen. Die Kunsthistorikerin ist Spezialistin für die spätmittelalterliche Malerei aus der heutigen Schweiz und untersuchte im vergangenen Jahr die Sarner Altäre. Sie kommt zum Schluss, dass diese zwischen 1450 und 1470 entstanden sein müssen. «Aus dieser Zeit haben wir sonst keine vergleichbaren Gemälde aus der heutigen Schweiz.»

 

Keine Forschung seit 1930

Trotz ihres Werts hat sich seit 1930 niemand mehr mit den spätgotischen Tafeln in Obwalden befasst. Generationen von Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern stützten sich auf die Interpretation des Stanser Paters Alban Stöckli, die er 1930 im «Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde» publiziert hatte. Nach mehr als neun Jahrzehnten erscheint nun die erste vertiefte Analyse der qualitativ hochstehenden Altarretabel als Band 11 der Reihe «Murensia».

Im Zentrum der 61-seitigen Schrift stehen zwei verschiedene Werke: erstens der Dreikönigsaltar mit insgesamt vier Teilen. Eine zentrale Tafel und die zwei Flügel sind heute in der Kollegiumskirche Sarnen erhalten, der vermutlich zugehörige Sockel (Predella) befindet sich im Kloster Hermetschwil. Zweitens thematisiert der Murensia-Band den Marienaltar, dessen zwei Flügeltafeln sich ebenfalls in Sarnen befinden.

 

Sorgfältige Details

Der aufgeklappte Dreikönigsaltar, die Festtagsseite, zeigt im Zentrum eine gemalte Szene mit der Anbetung der heiligen drei Könige, die dem Kind Gold, Weihrauch und Myrrhe bringen. Auf der linken Seite sind die heiligen Jungfrauen Magdalena, Barbara sowie Dorothea dargestellt, auf dem rechten Bild sind die heiligen Christophorus, Martin und Benedikt zu sehen. Neben dem goldenen, tapetenhaften Hintergrund überwältigen die Details, so die Frauengewänder mit filigranen Mustern, sogenanntem Pressbrokat, oder eine Feinheit beim heiligen Martin: Der Bischof teilt seinen Mantel mit einem Bedürftigen mit blutendem Beinstumpf, auf dem sich eine Fliege an den Tropfen labt. Der Sockel dieses Altars mit dem Motiv des Marientods (Dormitio) befindet sich im Frauenkloster Hermetschwil und scheint auf den ersten Blick von minderer Qualität zu sein – es fehlt zum Beispiel das viele Gold. Gutscher-Schmid jedoch betont: «Handwerklich sind die Tafeln aus Sarnen der Marientod-Darstellung in Hermetschwil sehr ähnlich.»

Auch die Tafeln des Marientods stammen aus der Werkstatt des Dreikönigsaltars, stellt Gutscher-Schmid nach ihrer Untersuchung fest. Auf der Innenseite sind eine Verkündigungs- und eine Geburtsszene dargestellt, auf der Aussenseite sind auf einer Tafel die heiligen Georg und Lorenz, auf der anderen Tafel Margaretha und Katharina zu sehen.

 

Detektivarbeit für die zeitliche Zuordnung

Schriftliche Quellen über die Altäre und deren Entstehung gibt es nicht. Es ist lediglich bekannt, dass sie sich 1841 im «Kunstkabinett Muri» befanden und danach ins Benediktinerkollegium Sarnen überführt wurden, wo sich die Mönche nach der Aufhebung des Klosters Muri als Lehrer betätigten.

Für die Erforschung der Ursprünge der Tafeln ist Spürsinn gefragt. Denn bis um 1500 signierten Maler ihre Werke nicht mit Namen. Nur wer die verschiedenen Figurenformen und Maltechniken der Zeit kennt, kann sie örtlich und zeitlich ein- und zuordnen. Eine Ausnahme im Raum der heutigen Schweiz bilden die sogenannten Nelkenmeister aus der Zeit zwischen 1479 und 1510. Diese Gruppe von namentlich nicht bekannten Malern war in Werkstätten in Basel, Bern, Baden, Solothurn und Zürich tätig, und sie unterzeichneten ihre Bilder mit zwei Nelken in roter und weisser Farbe. Gutscher-Schmid hat sich intensiv mit ihnen auseinandergesetzt und dazu publiziert. «Die Sarner Tafeln sind eindeutig vor der Zeit der Nelkenmeister entstanden», sagt sie nach zahlreichen Vergleichen auch mit gedruckten Vorlagen, die in den Werkstätten zum Beispiel in Strassburg und Basel kursierten. Somit kann sie die Tafeln auf die Zeit vor Mitte der 1470er-Jahre datieren.

 

100-jährige Theorie widerlegt

Auch widerlegt Charlotte Gutscher-Schmid die These des Stanser Paters Stöckli, der behauptete, dass die Altäre in Rheinfelden entstanden waren. Bis heute wurde diese Annahme nicht in Zweifel gezogen und unbesehen in Nachschlagewerke übernommen. Einige Forschende ordneten dieser «Rheinfelder Werkstatt» gar zahlreiche weitere Gemälde zu. «Eine kunsthistorische Analyse hätte die ganze Theorie leicht zu Fall bringen können», ist im neuen Murensia-Band zu lesen. Woher, wenn nicht aus Rheinfelden, stammen nun die Altäre? «Das lässt sich leider nur lückenhaft beantworten», sagt die Kunsthistorikerin Gutscher-Schmid. Ihre Schrift schliesst nach der analytischen Darstellung darum mit vier Thesen zu möglichen Malern und Auftraggebern beziehungsweise Auftraggeberinnen.

 

Thesen auf offene Fragen

Eine zentrale Rolle könnte die Maler-Familie Tiefenthal gespielt haben, die ursprünglich aus dem Elsass stammte, im 15. Jahrhundert aber auch in Bremgarten nachzuweisen ist. Beim Dreikönigsaltar fällt auf, dass die dargestellten Figuren auf den Altarflügeln den Schutzheiligen Klosterkirche Hermetschwil entsprachen. Zudem wird die Predella bis heute in Hermetschwil aufbewahrt. Ob vielleicht Sopie Schwarzmurer, Meisterin des Klosters zwischen 1463 und 1486 und aus einem Zürcher Patriziergeschlecht stammend, die Auftraggeberin war? Die schriftlichen Quellen schweigen sich darüber aus – auch darüber, wo der Marienaltar entstand.

Ein weiteres Rätsel gibt die Rettung der kostbaren Altäre in der Reformationszeit auf. In dieser Zeit wurden nämlich sowohl in Hermetschwil als auch in Muri die meisten Bilder zerstört. Waren es am Ende der Bremgarter Leutpriester Heinrich Bullinger, dessen gleichnamiger Sohn Reformator in Zürich wurde, und sein Bekannter Abt Laurenz von Heidegg, die die Altäre in Sicherheit brachten? Trotz neuer Erkenntnisse bleiben einige Fragen zu den Altären offen.

 

Die neue Publikation von Charlotte Gutscher-Schmid «Zwei spätgotische Flügelaltäre im Benediktinerkollegium Sarnen» (Murensia, Band 11) erscheint im Juni 2024.

Vernissage mit Buchpräsentation: Donnerstag, 20. Juni 2024, 17:00 Uhr, Benediktinerkollegium Sarnen. Aus organisatorischen Gründen Bitte um Anmeldung: geschichte@kloster-muri.ch.