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10.03.2025

Zeitlose Regeln – 1500 Jahre Regula Benedicti

Muri und Hermetschwil sind benediktinische Klöster und orientieren sich an der Regel des heiligen Benedikt. Vor 1500 Jahren verfasst, ist sie bis heute das bekannteste Regelwerk für den klösterlichen Alltag.

Sie ist der rote Faden für viele Klöster in unseren Breitengraden: die Benediktsregel. Entstanden im 6. Jahrhundert, gilt sie für Benediktinerinnen und Benediktiner, aber auch in Zisterzienserklöstern als verbindlicher Leitfaden für das Leben in der geistlichen Gemeinschaft. Selbst in Seminaren von Managern wird im Rahmen von werteorientierter Führung über die Regel des heiligen Benedikt gesprochen. Was macht diese Regel aus, dass sie selbst nach 1500 Jahren in verschiedenen Kontexten Gültigkeit hat?

 

Inspiration durch Eremiten

In erster Linie beschreibt die Regula Benedicti, wie sie lateinisch heisst, ein gutes Leben in einer christlichen Gemeinschaft. Daniel Sidler, der für die Neue Klostergeschichte Muri das Klosterleben in der Frühen Neuzeit untersucht, stellt dazu fest: «Ein geistliches Leben hat mit einer inneren Haltung zu tun. Die einzelnen Kapitel der Regel machen Verhaltensweisen nach aussen sichtbar, um zu zeigen, dass jemand ein solches geistliches Leben führt.» In 73 Abschnitten werden das ideale Leben als Mönch, die Verwaltung eines Klosters und das Leben in der Gemeinschaft, aber auch der Umgang untereinander und mit Fremden beschrieben.

Schöpfer dieses Werks war Benedikt von Nursia. Er stammte aus dem Bergland von Umbrien und studierte in Rom. Für seine Regel stützte er sich auf bereits bestehenden Regeln von frühchristlichen Eremiten vor seiner Zeit und kombinierte das Bestehende mit seinen eigenen Erfahrungen als Gründer und Vorsteher eines Klosters. Er beobachtete dafür, wie die Mönche in seinem Konvent miteinander umgingen, und analysierte, welche Qualitäten ein Abt haben sollte, um das Zusammenleben zu ermöglichen. Seine Erkenntnisse formulierte er zu normativen Leitsätzen um.

 

Menschen im Zentrum

«Die Regula Benedicti begreift Menschen als unvollkommene und individuell verschiedene Personen», sagt Claudia Moddelmog. Die Mediävistin forscht ebenfalls für die Neue Klostergeschichte Muri und beschäftigt sich mit dem Klosterleben seit den Anfängen des Klosters bis zur Reformation. Sie betont: «Die Grundidee der Benediktsregel ist, die Menschen in der Gemeinschaft zu unterstützen.» Dazu gehörten Tugenden wie Gehorsam und Demut ebenso wie die Vorgaben von Gebetszeiten und Verantwortlichkeiten innerhalb des Konvents.

Auch das Umsorgen von Alten oder die Pflege von Kranken sind basaler Bestandteil der Regel. Diese Pflege müsse, so schreibt Benedikt, «vor und über allem anderen stehen». Den Kranken sei so zu dienen, wie wenn es sich um Jesus selbst handelte.

 

Regel in der Murenser Bibliothek

Die Abteien Muri-Gries und Hermetschwil orientieren sich als benediktinische Klöster bis heute an der Regel des heiligen Benedikt. Als Orientierungspunkt gilt dabei immer der Originaltext. In der mittelalterlichen Bibliothek wurde mindestens ein liber regule aufbewahrt. Das wissen wir aus den «Acta Murensia», der wichtigsten mittelalterlichen Quelle zu Muri. 

Der Text der Regel wurde auch mit anderen Schriftstücken kombiniert. In der Zeit des Doppelklosters im 11. und 12. Jahrhundert legten die Mönche und Nonnen ein Nekrolog an, ein Totenregister, in das sie zudem Jahrzeitstiftungen eingetragen haben. Zu einem unbestimmten Zeitpunkt banden sie es zusammen mit anderen Texten zu einem Buch. Dazu gehörten das Heiligenleben des Benediktinermönchs Usuard und die Regula Benedicti beinhaltet. Hier ist gut zu sehen: Totenregister, Kalender, Heiligenleben und Regelabschrift waren zentral für Klosteralltag.

 

Ursprungstext auf Latein und Deutsch

Die Benediktsregel ist aber nicht nur auf Latein überliefert: Heute wird in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe eine deutsche Übersetzung aufbewahrt, die sich wahrscheinlich einst in der Hermetschwiler Bibliothek befand. Die Regel hatte Geltung, das ist nicht anzuzweifeln. Wie die Praxis aussah, wissen wir aber nicht, denn «Quellen dazu, wie genau im Mittelalter die Regel in Muri oder Hermetschwil genau umgesetzt wurde, gibt es nicht», sagt Moddelmog. Auch fehlen für die Anfangszeit sogenannte Consuetudines, also für das jeweilige Kloster angepasste Regeln für den Alltag.

Aufschlussreich hingegen sind die bischöflichen Statuten für das Kloster Hermetschwil aus dem Jahr 1265. Sie schreiben zum Beispiel vor, dass die Pforten geschlossen bleiben sollen wenn sich die Frauen im Garten aufhielten. Die Hermetschwilerinnen sollen demnach in strenger Klausur leben – eine Vorgabe, die bei Benedikt nicht im Vordergrund stand. Er verfasste seine Regel nur für Männer.

 

Fortwährende Diskussion

Etwas mehr bekannt ist für Muri und Hermetschwil aus der Zeit ab 1600, der Epoche der sogenannten Gegenreformation. Damals schlossen sich die benediktinischen Klöster in der nun konfessionell geteilten Alten Eidgenossenschaft zu einer Kongregation zusammen. Sie hatten ein Ziel: sich wieder auf die Ursprünge, auf die biblischen Texte und die Benediktsregel, zu besinnen. Zu diesem Zweck besuchten sich Vertreter der Klöster  gegenseitig und dokumentierten das Beobachtete. «Die Visitationsberichte beziehen sich häufig auf die Benediktsregel», sagt Historiker Daniel Sidler. «Immer wieder kam es zu Diskussionen über Spezialfälle.»

So auch im Fall Klingenberg: Im Jahr 1651 übernahm das Kloster Muri die thurgauische Herrschaft Klingenberg. Die Mönche, die dorthin entsandt wurden, konnten kein typisches Klosterleben führen. Wie sollten sie mit Gästen umgehen? Wie auf Reisen die Gebetsverpflichtungen erfüllen? Der Spagat zwischen Welt und Kloster brauchte Sonderregelungen. «Für Klingenberg musste festgestellt werden, dass die Regel nicht konsequent umgesetzt werden konnte. Hier gab es keinen Abt vor Ort, also wurden die Vorschriften angepasst, etwa wer wem die Beichte abnimmt», sagt Sidler.

 

Moderne Formen der Regel

Die Diskussion darüber, wie die einzelnen Kapitel der Regel zu verstehen sind, währt bis heute. Der Einsiedler Pater Christoph Müller schreibt über seine Zeit als Novize und die Lektüre der Benediktsregel: «Gewisse Stellen sprachen mich durchaus an. Aber in ihrer Gesamtheit blieb sie mir doch eher fremd.» Im Jahr 2022 publizierte er eine vereinfachte Benediktsregel, die sich so liest, dass darin neben Männern auch Frauen angesprochen fühlen.

Heute dient die Regula auch Menschen ausserhalb von Klöstern in der Alltagsspiritualität. In der Managementliteratur finden sich ausserdem zahlreiche Titel, die auf die Regel eingehen. Von einem Abt wird gefordert, dass seine Worte mit seinen Taten übereinstimmen, dass er Verantwortung wahrnimmt und die Anliegen seiner Brüder anhört. – Punkte, die auch jedes Leadership-Handbuch enthält.